Abstract
Für die Debatte um die Ideologiekritik nach Marx ist der Gedanke zentral, dass sowohl das Bewusstsein als auch Praktiken ideologische Formen annehmen können. Doch was ist eine ideologische Form und was ist an einer solchen Form falsch? Bei Marx ist das Paradigma dieser Form die Religion, die Philosophie und schließlich der Wert; diese Formen zeichnen sich dadurch aus, dass sie, unabhängig vom konkret Gedachten, die ganze Praxis, in der das Denken stattfindet, falsch machen. Ihre Kritik muss also eine radikalere Kritik als nur eine Kritik einzelner falscher Aussagen sein. Die modernen Ansätze der Ideologiekritik fügen dieser Liste weitere Vorschläge hinzu (Verdinglichung, instrumentelle Vernunft, Subjektivierung), beantworten die Frage jedoch kaum einheitlich, worin die Falschheit dieser Formen liegt. Marx lokalisiert die Falschheit in der Illusion der Autarkie, die bestimmten Denkformen intrinsisch ist, sowie in der Tendenz dieser Formen, sich als Ausdruck eines allgemeinen Standpunkts zu verstehen. Wenn wir dies nur als Irrtum zweiter Ordnung hinsichtlich von Überzeugungen, Normen oder Praktiken verstehen, folgt daraus aber nicht, dass diese Überzeugungen, Normen oder Praktiken selbst kritikwürdig sind. Es ergibt sich daraus keine Kritik an den Praktiken selbst. Sobald wir jedoch die Rede von der Form einer Praxis ernstnehmen und mit Foucault und Bourdieu die praktischen Unterscheidungsregeln, die einen Gegenstandsbereich konstituieren, und das der Praxis zugrunde liegende Vokabular einbeziehen, wird dieses Modell plausibler: Religion, Philosophie und Warentausch sind Praktiken, die von konstitutiven Regeln strukturiert werden. Diese Regeln sind in ideologischen Praktiken so strukturiert, dass innerhalb der Praxis keine Möglichkeit besteht, die Partikularität und Praxisgebundenheit der Unterscheidungen – also die Tatsache, dass die Praxis von Menschen instituiert ist – thematisch werden zu lassen. Da sie daher prinzipiell nicht in der Praxis auftauchen können, scheinen sie von ihr unabhängig zu sein. Wie Marx am Beispiel der Wertform darstellt, ist eine explizit falsche Überzeugung für eine ideologische Praxis nicht notwendig – die Marktteilnehmer könnten im Prinzip alle um den Fetischcharakter der Ware wissen, solange die Regeln der Praxis verhindern, dass dieses Wissen in der Praxis thematisch werden kann. In den Interaktionen des Warentauschs ist ebenso wenig Platz für Kritik an ihren konstitutiven Regeln wie in den Praktiken der Subjektivität.
Translated title of the contribution | Ideology critique |
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Original language | German |
Title of host publication | Marx-Handbuch |
Subtitle of host publication | Leben - Werk - Wirkung |
Editors | Michael Quante, David Schweikard |
Place of Publication | Stuttgart |
Publisher | J.B. Metzler Verlag |
Chapter | C 5 |
Pages | 238-251 |
Number of pages | 14 |
ISBN (Electronic) | 9783476052674 |
ISBN (Print) | 9783476023322 |
Publication status | Published - 2016 |
Keywords
- Marx
- Ideology